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Allgemeiner Hinweis zum Mathematikstudium

U. Schoenwaelder
http://www.math.rwth-aachen.de/ ~Ulrich.Schoenwaelder
Aachen, 2000-09-27

Mathematik treiben ist eine vielseitige Tätigkeit:
- sammeln, ordnen, klassifizieren;
- Fragen stellen, formulieren, vermuten, Probleme lösen, beweisen;
- abstrahieren, analysieren, interpretieren;
- lesen, schreiben, reden, vortragen.

Die Ergebnisse solcher Tätigkeien werden in Artikeln, Vorträgen, Büchern, Vorlesungen als Stoff ausformuliert und anderen vermittelt. Aber der Stoff ist nicht die Tätigkeit. Das Ziel des Mathematikstudiums ist es, die Tätigkeiten zu erlernen und in ihnen ein hohes Maß an Selbständigkeit zu erlangen. Das geht nicht ohne Fragestellungen und Stoff (Standard-Strukturen), an dem sie gelernt werden können.

Im Grundstudium geben dazu hauptsächlich die wöchentlichen Übungsaufgaben Gelegenheit. Im Hauptstudium treten Seminare und Studienarbeiten (Examensarbeit) hinzu.

Es kommt also schon im Grundstudium darauf an, dass man bei der Erarbeitung des Vorlesungsstoffes die oben genannten Tätigkeien übt. Der Stoff (der Vorlesung, des Buches) ist ziemlich umfangreich und wird vom Dozenten bzw. Autor in einer möglichen Reihenfolge und Form dargeboten. Zum Verständnis des Gebietes ist es aber erforderlich, das Gebiet auf eigenen neuen Wegen zu durchstreifen, allein und mit anderen.

Ich unterscheide drei Stufen des Verständnisses eines Stoffgebietes:
- Gewissenhaft nachvollziehen (Richtigkeit überprüfen);
- Intuitiv verstehen, was die Grundidee ist: woran es liegt;
- Diese Idee in anderen Zusammenhängen selbst anwenden können.
Alle drei Stufen sollen schon in den Grundvorlesungen erreicht werden.

Für die eigenen Wege zu diesem Verständnis braucht man Ziele; die Ziele sind die Antworten auf eigene Fragen. Nur durch eigenes Fragen kommt Lernen in Gang. Die Fragen können von verschiedener Natur sein:
- lokale Fragen zum Verständnis bestimmter Stellen in der Darbietung des Stoffes;
- inhaltliche Fragen, die verschiedene Teile des Stoffes verbinden; sie können durch Assoziationen oder Analogien ausgelöst werden;
- Fragen zum Sinn und Zweck des Vorgehens an einzelnen Stellen oder des ganzen Projektes.

Wie kommt man zu Antworten? Durch
- eigenes Nachdenken (wissenschaftliches Arbeiten);
- Diskussionen mit anderen Lernenden;
- Diskussionen mit Lehrenden.

Was bedeutet eigenes Nachdenken (wissenschaftliches Arbeiten)? Dazu verweise ich auf den folgenden Abschnitt "Wissenschaftliches Arbeiten" (s. Inhaltsverzeichnis); aber eines ist das Allerwichtigste dabei:

Schreiben, Schreiben, Schreiben.

Das Schreiben sichert, ordnet und kontrolliert die Gedanken. Ich unterscheide vier Arten von Schreibtätigkeiten:
  1. Notizen oder eine Mitschrift bei einem Vortrag oder einer Vorlesung anfertigen.
  2. Das Notieren von Einfällen, die man nicht vergessen möchte. Hierzu gehören alle Fragen (sie sind sooo wertvoll) und daran anschließend das informelle Drehen und Wenden von Ideen zum Stoff und zur eigenen Tätigkeit. Man organisiert dies alles in einem Lerntagebuch; näheres hierzu unter "Schreiben im Mathematikunterricht und -studium", Stichwort Lerntagebuch.
  3. Den Versuch des formal korrekten Aufschreibens von Teilergebnissen zu Fragen, Übungsaufgaben, eigenen Problemen. Diese Texte nenne ich Dokumente, sie werden in einem Sachordner abgelegt. Vgl. das Stichwort "Überblick behalten" unter Ziel 1.a meines Artikels "Hinweise zum Abfassen eines mathematischen Hausaufsatzes".
  4. Die anschließende Produktion eines formal korrekten, zusammenhängenden Textes:
    - die Lösung einer Übungsaufgabe,
    - die eigene Ausarbeitung einer Vorlesung,
    - ein mathematischer Hausaufsatz,
    - eine Examensarbeit.

Vgl. hierzu meine Internetseite "Schreiben im Mathematikunterricht und -studium".

Sie merken also: Das Hochschulstudium ist nicht eine einfache Fortsetzung des Schulunterrichts! Insbesondere sollten Sie die folgenden Punkte beachten. [Quelle: Steven Zucker, Telling the truth, Notices AMS 50:3 (2003), 325. Siehe auch unter http://www.math.jhu.edu/~sz.]

  1. Neue Verantwortung. Sie sind für Ihre (Aus-)Bildung selbst verantwortlich.
  2. Neuer Vergleichsmaßstab. Alle Ihre Mitstudierenden waren sehr gut bis gut in Ihrem Fach (Mathematik). Die Konkurrenz wird härter.
  3. Neues Denken. Es kommt im Mathematikstudium viel mehr als in der Schule auf begriffliches Denken an. Das merken Sie am ehesten, wenn Sie Beweise führen sollen.
  4. Neue Rollenverteilung zwischen Professor und Studierenden. Es ist nicht die Hauptaufgabe des Professors, den "Stoff" darzustellen: dafür gibt es auch Bücher und manchmal Skripte. Vielmehr gibt der Professor eine Anleitung zum Studieren und eine Einführung in den Stoff. Das erfordert viel mehr Eigeninitiative beim Lernen und einen entsprechenden Zeitaufwand. Mit zwei Stunden Hausarbeit für eine Vorlesungs- oder Übungsstunde muss man mindestens rechnen.

Für den Mathematik-Studienanfänger gibt es Tipps zum Studieren auch auf folgenden (externen) Seiten:


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